
Bild: Lou Herfurth
Erst gestern wieder wurde ich wieder mit der Aussage konfrontiert: „Mein Becken ist noch so leer, hat wer billich Garnelen abzugeben? Mein Wasser ist mittelhart.“. Mich hat diese Frage einerseits amüsiert, aber andererseits dennoch geärgert. Und damit war ich nicht ganz alleine. Mal ehrlich; was bitte ist „mittelhart“? Zur Antwort bekam ich: „nun, wer googlen kann, ist wohl klar im Vorteil“.
Alles klar. Und wer billiche Garnelen sucht, der sollte Ebay Kleinanzeigen beherrschen. Mal voll total so auf hochdeutsch formuliert unter uns Gebetsschwestern.
Zwar leben wir in einer Wegwerfgesellschaft, die so schnelllebig ist, dass man theoretisch einfach nur abwarten müsste, bis sich der verpasste Trend wiederholt, aber wir leben auch in einer mammonfixierten Made-in-China-Welt, die Garnelenzüchtern, die nicht nur Herz, Arsch und Hirn in ihre Zucht investieren, sondern auch sehr viel Zeit, das Pipi in die Augen treibt bei solchen Zeilen. Solche, die sich genaue Gedanken machen, was sie füttern und ihr Futter teilweise aus solch utopischen Zutaten zusammen stellen, die nicht einmal im Fachhandel zu finden sind – in Kombination schon überhaupt nicht – und damit trotzdem Zuchterfolge einfahren. Das sind welche, die mit Herzblut dabei sind und bei der geringsten Wasserschwankung kurz vorm Exitus stehen. Solche, die in Aquatlantis leben und für Normalsterbliche oder eben Shrimp-Newbies einfach nur gehörig einen an der Waffel haben. Denn es gehört mehr dazu, als einfach nur Wasser in ein Glasbecken zu füllen, Tiere hinzuzufügen und darauf zu hoffen, dass sich das neue Dekostück von alleine in den Rest der Wohnung integriert. Das ist hier nicht das Ikea Smaland! Und Backebacke Kuchen schon dreimal nicht.
Und dann taucht jemand auf und erkundigt sich nach „billichen“ Garnelen.
Zugegeben, nur wer fragt, gewinnt. Auch gestehe ich jedem diese Frage zu. Selbstverständlich gehöre auch ich zu denjenigen, die jeden Pfennig dreimal umdrehen und lieber günstiger als teurer shoppen gehen und eher alle Preise viermal vergleichen. Aber letzten Endes reden wir hier nicht von Toastern oder Jeans im Destroyed-Look. Es sind immer noch Lebewesen. Welche, die Züchtern nicht nur teilweise durch ihre besonderen Eigenarten den letzten Nerv rauben, sondern auch, man staune, echtes Geld kosten! Angefangen in der Anschaffung. Tiere, die entweder besonders gefüttert werden, die spezialisiertes Wasser bekommen, die aber nicht zuletzt die Nebenkostenabrechnung verdoppeln können. Natürlich könnte man auch einfach sagen, man ließe den ganzen Quatsch einfach sein und die Problematik hätte sich erledigt. Die Sache aber ist doch die; man kann die Aquaristik nicht „einfach“ bleiben lassen. Man verlässt sie nicht. Eher verlässt sie einen. Von Mut und Hoffnung rede ich schon gar nicht mehr.
Ausgesonderte Garnelen werden als „Ausschuss“ bezeichnet, immer im Hinterkopf behaltend, dass es dennoch Tiere sind. Diese Tiere werden des Öfteren günstiger angeboten, da diese nicht dem Zuchtziel entsprechen und daher ausselektiert werden. Aber der Markt hierfür ist, salopp gesagt; mau, denn: billich soll es sein. Und ausgewachsen. Und nach Möglichkeit tragend und perfekt gefärbt. Und eigentlich sollte es doch bitte genau die photogeshoppte Supergarnele vom Händler Sowieso aus Hintertupfingen sein. Und überhaupt hätte man diese Tiere woanders ja auch billicher gefunden und alle, die hier kaufen würden, wären ja ohnehin durch die Bank weg viel zu doof zum Vergleichen.
Hm. Wie geht man mit diesen Menschen um, die solche Ansagen machen? Um mal wirklich am offenen Herzen zu operieren: Es ist leider sehr oft so, dass exakt diese Menschen durch Unwissenheit glänzen, durch Besserwisserei, wenn man so möchte, und teilweise zwanzig Foren quer gelesen haben und uns Züchtern erzählen möchten, wie und wo der Hase rennt. Und um das ganze knackig abzukürzen, nenne ich diesen Person jetzt DAU. Dümmst-anzunehmende User, die vor Beratungsresistenz geradezu protzen und Pokale abstauben könnten.
Gehe ich von meiner Zucht aus, überlege ich mittlerweile mehrfach, ob ich den „Ausschuss“ überhaupt zum „Handel“ zulasse oder ob ich ihn nicht einfach unerwähnt im clarkii-Becken versenke. Denn auch Lebendfutter kostet Geld. Meist wird er unter der Hand an befreundete Züchter weitergegeben, sodass diese hier niemals überhaupt je erwähnt wurden oder gar irgendwem anders den Einstieg in die Aquaristik ermöglicht hätten. Meist handelt es sich aber um Tiere, die mir trotz Selektion zu wertvoll als „Newbie-Versuchsopfer“ sind. Und das trotz der Tatsache, dass ich den Taiwajapanern aktiv den Rücken gekehrt habe und mich absichtlich nicht mit TaiTiHochzuchten beschäftige.
Ein weiteres Thema, an dem sich gerne aufgehängt wird, sind die Händlerpreise. Oder gar der ganze Händler. Wer mit wem in welchen Kreisen verkehrt und wer überhaupt Qualität liefert oder nicht, würde ganze Bücher füllen, daher beschränke ich mich auch hier auf den Preis. Von „überteuerten Händlerpreisen“ war gestern die Rede. Ich gestehe, auch ich schlucke teilweise kräftig, wenn ich ausgepreiste Garnelen sehe, bei denen eine einzige Red Fire 4,99 € kosten soll. Bis vor kurzem habe auch ich noch zu den motzenden Quäkern gezählt, denen es nicht günstig genug sein konnte. Aber lasst uns mal einen Blick hinter die Kulissen werfen. Warum kostet eine Red Fire im Handel das, was sie kostet?
Sicherlich wird es einleuchten, dass Händler zwar Spaß an der Sache haben, aber diese „Sache“ nun einmal ihr Haupterwerb ist. Sie gehen nicht irgendwo wie „normale“ Menschen 8 Stunden arbeiten, sondern verdienen ihr tägliches Brot mit den Krabblern. Sie stehen auf, wenn andere noch schlafen, nehmen nachts Importe aus aller Herren Länder entgegen, denn schließlich möchte König Kunde ja auch alle Farben haben und den letzten taiwajapangalaktischen Superschrei aus WeitWeitWeg. Auch diese Importe müssen erst an neues Wasser gewöhnt werden, das braucht Zeit, teilweise müssen sie sortiert werden. Und hierbei reden wir nicht von 20 Garnelen, sondern von 20 mal 1000. Wenn solches erledigt ist, werden die eigenen Kinder zur Schule gebracht, dann ruft die Buchhaltung. Und zwischen Mittagessen, Steuerberatern und Ärger mit Finanzämtern, die meist vorausbezahlt werden wollen, ohne Rückzahlungen gegenzurechnen, müssen dann tatsächlich noch einkommende Bestellungen verwaltet werden, ebenso Zahlungseingänge. Tiere werden aus den Becken gefischt, teilweise nach Geschlecht sortiert, vertütet und in Versandkartonagen, die man gestern irgendwie noch zwischen drei Anrufen, einem kaputten Auto und zwei Mecker-Emails auch noch besorgt hat, verpackt. Dann will Personal bezahlt werden, deren Kranken- und Pflegeversicherungen ebenfalls und dann wäre ja da noch die eigene, die auch noch privat ist. Und wenn wir wirklich ins Detail gehen sollen, zwischen all diesem Berg an Arbeit; auch die private Miete wird fällig, die der Anlage, diese muss gepflegt werden, mit Wasser, Futter und Strom versorgt und irgendjemand muss nachts noch neue Newsletter schreiben, neue Shopangebote einpflegen, Angebote einholen, und auch die Domain kostet ihren Obolus… Hilfe! Und dann wäre da noch die Sache mit der Kundenzufriedenheit durch besonderen Service… Manchmal müssen Menschen auch mal schlafen…
Sind da 4,99€ für eine Red Fire Garnele zu teuer? Wenn wir all das mal abziehen, bringt eine Red Fire einen tatsächlichen Gewinn von ca. 0,10 €. (Wie viel verdienst DU im Monat?) Jetzt mal ernsthaft. Wäre das DEIN Job? Sicher nicht. Nach kürzester Zeit würdest du das Ding werfen. Wohl wissend, dass Familienfeiern zu kurz kommen, Urlaubsflüge oder einfach mal einen Abend Zweisamkeit. Das kannst du getrost abhaken. Und ich habe hier nur vom kleinen Händler geredet. Eine ganz andere Dimension bietet da der Franchisehandel.
Ihr wisst genau, wovon ich rede. Warum, um alles in der Welt, machen es sich manche Menschen also so schwer, werden Händler und versuchen, es uns als Endverbraucher recht zu machen und auf jede blöde Frage trotzdem eine Lösung zu finden? Vielleicht, weil sie genauso einen am Sender haben, wie wir. Vielleicht, weil sie sich genauso wie ich darüber freuen, wenn sich einer für die kleinen Krabbler und Kneifer begeistern kann.
Ich hoffe, ein wenig Licht ins Dunkle gebracht zu haben. Vielleicht braucht es manchmal einen kleinen Blick hinter die Kulissen, um zu verstehen, warum die Dinge so sind, wie sind. Wir alle sollten ein wenig mehr Verständnis füreinander aufbringen und besser aufeinander zugehen. Letzten Endes macht der Ton immer noch die Musik. Und es wäre schade, wenn das das Hindernis sein sollte, an dem Interessierte scheitern.
Die DAUs wird es immer geben. Und ebenso die schwarzen Schafe, die ihre Garnelen jenseits von Gut und Böse für zwanzig Pfennig verschleudern. Aber vermutlich wird über uns „Garnelenirre“ genauso gedacht, wenn wir uns als Frischlinge auf ein neues Terrain begeben. Ich möchte anmerken, dass wir Newbies gerne an die Hand nehmen und ihnen auch gerne die nötigen Kenntnisse vermitteln und unsere Leidenschaft näher bringen.
Nicht einmal der Tod ist umsonst, meine Freunde. Geht mit uns genauso um, wie ihr gerne behandelt werden würdet und wir rocken ein ganz großes Ding.
In dem Sinne: sapere aude! (Wage, zu denken!)
Text: Lou Herfurth